Berufsorientierung
Kooperation mit der TU-Hamburg
Die betrübliche Vorgeschichte
Am Anfang steht ein Verlust: das Vincent-Lübeck-Gymnasium muss im Sommer 2024 die Nutzung der „Mühle am Schiffertor“ aufgeben. Seit mehreren Jahren hatte es sich bereits abgezeichnet, nun teilte der Landkreis Stade als Schulträger tatsächlich mit, dass er den Mietvertrag für die historische Stader Windmühle ab August beendet. Die Schule muss die dortigen Labore räumen. Die Unterhaltung des Gebäudes ist für die Stadt Stade, der die Mühle gehört, zu teuer geworden, daher will sie das Objekt am Rande der Altstadt verkaufen. Dies gelingt auch – unerwartet – nach mehreren Anläufen.
In den 1990er-Jahren hatte der Landkreis mit der Stadt eine Vereinbarung geschlossen, um die alte Mühle am Schiffertor zu öffnen und für junge Menschen zu nutzen. Der Schulträger mietete die Räumlichkeiten an, ließ dort für viel Geld Laboratorien und Fachräume zum Experimentieren und Forschen einrichten und übergab das Gebäude schließlich den Stader Schulen zur Nutzung. Hauptnutzer war in den kommenden Jahrzehnten die Schule in der direkten Nachbarschaft, das Vincent-Lübeck-Gymnasium. Aber auch die benachbarten Schulen, wie z. B. die BBS, nutzten regelmäßig die Forschungseinrichtungen, vor allem das vom Stader Kernkraftwerk als Dauerleihgabe zur Verfügung gestellte Kernphysikpraktikum.
Nun also das Ende im Sommer 2024. Die Labore mussten bis August geräumt werden und das gesamte Inventar der Schule ins Haupthaus verbracht werden. Dem VLG sollte dadurch kein Nachteil entstehen, das sicherte der Erste Kreisrat Torsten Heinze frühzeitig zu. Der Verlust wirft die Frage auf: Wie geht es weiter im MINT-Bereich am VLG? Auf die Frage suchen Schulleitung und Fachobleute Antworten – und finden sie.
Neue Ideen müssen her
Den Anstoß gibt zuerst die lang erwartete Neubesetzung einer Koordinatorenstelle. Im Jahr 2024 hat das lange Warten ein Ende und mit Mattias Quast, vormals Fachobmann Physik, ist endlich wieder ein Koordinator für das Aufgabenfeld C an der Schule vorhanden. Quast und Schulleiter Rouven Wauschkies suchen nach Möglichkeiten, den MINT-Bereich für die Zukunft aufzustellen, da kommt die Idee von zwei früheren Schülern beim Ehemaligenfest im Dezember des Vorjahres gerade recht: Kasra Mahmoudian, Abiturient des Jahres 2017 und damals Schülersprecher, studiert mittlerweile Maschinenbau an der Technischen Universität Hamburg; Jan-Maarten Brack, Abitur 2016, studiert dort Verfahrenstechnik. Beide kommen bereits seit mehreren Jahren an die Schule, um in den naturwissenschaftlichen Oberstufenkursen ihre Studiengänge vorzustellen, dies wird von den Schülerinnen und Schülern mit Interesse aufgenommen. Daraus erwächst schließlich bei den beiden Ehemaligen die Idee, die Zusammenarbeit offiziell zu machen, sie auf die TU HH selbst auszuweiten und einen Kooperationsvertrag zwischen Gymnasium und Universität abzuschließen. Die Planungen werden im Herbst 2024 konkret, die beiden engagierten Studenten bringen die Schulleitung vom VLG an einen Tisch mit der Koordinatorin der TU HH für die Bereiche Nachwuchsförderung, Schulkontakte und Schulmarketing, Nina Schulte. Schnell ist man sich einig, und eine Vereinbarung wird aufgesetzt.
Gründung der Kooperation
Im Februar 2025 ist es dann so weit: Im feierlichen Rahmen wird am VLG die Kooperationsurkunde übergeben und die Zusammenarbeit zwischen der TU HH und dem Stader Gymnasium wird offiziell besiegelt. Das Ziel der Kooperation besteht darin, Stader Schülerinnen und Schüler für die MINT-Fächer zu begeistern und ihnen die TU im nahegelegenen Hamburg-Harburg als Wissenschaftsstandort nahezubringen. Ein Netzwerk wird aufgebaut, in dem Lehrkräfte und Dozenten sich fachlich austauschen und über das Schülerinnen und Schüler die Angebote der TU HH entdecken. An Projekttagen sollen Oberstufenkurse in Harburg forschen und ins Gespräch mit den Wissenschaftlern kommen. Aber nicht nur mit den Professoren und Ingenieuren, vor allem der Austausch mit den Studentinnen und Studenten steht dabei im Vordergrund. Die Schwerpunkte liegen im Bereich Luft- und Schifffahrtstechnik, Mathematik, Robotik und physikalisches Experimentieren. Konkret heißt das, dass Forscher der TU HH Kurse in Stade besuchen und ihre Fachgebiete vorstellen, aber auch dass Schülerinnen und Schüler sich mit ihren Lehrkräften nach Harburg auf den Weg machen und dort vor Ort die Forschungsmöglichkeiten der TU kennenlernen. Koordinator Quast macht deutlich, was ihm wichtig ist: „Unsere Kursteilnehmer sollen möglichst konkret an Projekten arbeiten, wo es geht in den Laboren und an den Instituten der TU. Dazu gehört aber auch, dass man das Leben auf dem Campus kennenlernt, die Bibliotheken, die Vorlesungen und die Berufsperspektiven, die sich aus den Studiengängen am Ende ergeben.“ Er verweist auf Henry Ford, der schon vor 100 Jahren feststellte, dass die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes nicht in der Fabrikhalle oder im Forschungslabor beginne, sondern im Klassenzimmer.
Ausbau des MINT-Bereichs
Schulleiter Wauschkies sieht die Kooperation mit der TU nicht nur als Ersatz für die Mühle am Schiffertor, sondern als Aufbruch in eine neue Generation der MINT-Arbeit am VLG. Seit Jahren hat diese neben dem Unterricht in der Stader Herbstakademie ihren Platz, einem Gemeinschaftsprojekt mit dem Gymnasium Athenaeum, der IGS Stade und der BBS I, das maßgeblich von der IHK Elbe-Weser unterstützt wird. Hier arbeiten in den Herbstferien Schülerinnen und Schüler jedes Jahr eine Woche in wechselnden MINT-Projekten und stellen diese anschließend an der BBS einem großen Publikum vor. Dazu gehört in Zukunft aber auch der neue Makerspace, ein Forschungs- und Arbeitsraum, der im Frühjahr 2026 im naturwissenschaftlichen Trakt der Schule eingerichtet wird. Hier arbeiten die Lehrer Dr. Axel Kleindienst (Physik und Mathematik) sowie Dominic Twyman (Informatik und Mathematik) mit ihren Arbeitsgemeinschaften im Bereich „Jugend forscht“. Den Schülerinnen und Schülern steht bereits ein 3D-Drucker zur Verfügung; ab dem kommenden Frühjahr kommt ein Laser-Cutter dazu, für den der Landkreis die Räumlichkeiten umfangreich umbaut und modernisiert.
Die Kooperation des Stader Gymnasiums mit der Technischen Universität ist ein Beispiel für die Bedeutung von Alumni-Netzwerken, die unter ehemaligen Schülerinnen und Schülern Kontakte halten und die Schule bereichern. Aus der Idee von zwei Absolventen wird ein Projekt für die Zukunft. Sie zeigt aber auch, welche Kräfte erzwungene Veränderungen freisetzen können – und welche Motivation daraus erwachsen kann.